Drehorgelreise 1983 Es war ein von mir langgehegter Wunsch, einmal mit meinem Leierkasten „auf die Walz“ zu gehen. Nun, ganz so wie früher, den Kasten auf dem Wägelchen von Hand von Ort zu Ort zu schieben, mit Hausierern, Gauklern und Zigeunern als Weggefährten geht es heute nicht mehr. Ich baute den Beifahrersitz unseres Familienautos aus, verzurrte mit dem Sicherheitsgurt die Drehorgel, packte Orgelwagen, Schlafsack und eine Gartenliege in den Kofferraum und lenkte das Auto gen Rhein, der Romantik und dem Land der Minnesänger entgegen. Eigentliches Ziel war Rüdesheim gewesen, wo Siegfried Wendel ein bekanntes Museum für mechanische Musikinstrumente betreibt und von dem ich durch ein Gespräch mit ihm neue Anregungen für meinen Hobby- Drehorgelbau erhoffte. Bei Dreilinden am damligen Berliner Interzonenkontrollpunkt nahm ich einen Tramper mit; schließlich bin ich in meiner Studentenzeit auch auf diese Weise durch die Welt gereist. Dieser Weggefährte war übrigens sehr erstaunt, daß die alten Klassiker Mozart, Beethoven, Strauß und andere, von denen ich Musikkassetten während der fahr abspielte, auch tolle Musik geschaffen hatten. An einem Montagnachmittag kam ich in Eschwege, meinem ersten Halt an. Ich kannte die Gegend von einem vorherigen Besuch und wusste, daß es ein hübsches Fachwerkstädtchen ist. Ich packte Wagen und Orgel aus und drehte neben dem Auto zur Probe die Kurbel. Und zum Glück zur Probe!!! Ein jämmerlicher Klang kam aus der zuhause noch sorgfältig gestimmten Orgel. Die Löcher und Absätze der Transitautobahn hatten auf Dauer den Pfeifendächern ganz schön zugesetzt. Eine erneute Stimmung war nötiger denn je. Ich pachte verschämt die Orgel wieder ein und fuhr weg. - „Weg“ dachte ich, dahin, wo dich weit und breit niemand hören kann. Ich fuhr zum Hohen Meißner, einem in dieser Gegend bekanntem Naturschutzgebiet. Es ist ein schön bewaldetes Erholungsgebiet ohne bedeutende Durchgangsstraßen und demnach an diesem Montagabend ohne Spaziergänger. Ich fand einen schönen Parkplatz in der Nähe eines Baches und bereitete mir aus meinem mitgebrachten Broten ein Abendessen. Dann ging es ans Stimmen. Tatsächlich: bei vier Pfeifen waren die Dächer wesentlich verschoben. Mit einem papierstreifen klemmte ich sie gleich einwenig fester und stimmte die Pfeifen neu. Erstaunlicherweise schaffte ich es nach gehör ganz gut, während ich zuhause eine Elektronenorgel zu Hilfe nahm. In der Dämmerung spielte ich sicherheitshalber alle Lieder der Walze einmal durch und stellte die Orgel wieder in das Auto. Nun begann ein wenig „Landstreicherromantik“: Ich klappte die Gartenliege auseinander, legte den Schlafsack darauf und kroch in men „Bett“. Die Dämmerung schritt weiter voran und es wurde immer stiller im Wald. Die Vögel zwitscherten plötzlich nicht mehr, nur ab und zu flog noch ein Nachtvogel umher. Über allem lag nur noch das eintönige Rauschen der Wipfel und das eintönige plätschern eines nahen Baches. Etwas mulmig wurde mir schon, zumal ich ja noch nie ein großartiger Held gewesen war besonders als es unter meiner Liege plötzlich raschelte.... Aber das muß wohl nur ein Mäuschen gewesen sein, das sicherlich mehr Angst hatte als ich. Ich verdrängte alle aufkommenden Unsicherheitsgefühle und schlief dann irgendwann ein. Am Morgen erlebte ich dann den erwachenden Wald. Zur Morgentoilette ging ich ein Stück den Bach hinauf und fand eine geeignete Stelle mit einem kleinen Wasserfall. „Duschen unter einem Wasserfall musste ein herrliches Naturerlebnis sein, Auf Werbefotos ist ja manchmal so etwas zu sehen. Aber schon nach dem Einseifen neben dem Bach wurde mir schon etwas kühl, das eigentliche „Duschen“ erfolgte dann sehr zähneklappernd und kühlte meinen Romantik-Rausch erheblich ab. (ich habe mich dann auf dieser Reise nur noch einmal so gründlich gewaschen aber im Hotel! Noch beim kauen der am Vortage gekauften Brötchen spürte ich meine Zähne wie Perlen im Mund: so kalt war mein Zahnputzwasser.
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